Am 29. April 2021 – also morgen – erscheint unser taktisches Roguelike-Adventure „Insurmountable“ auf Steam. Und unserer Marketingabteilung ist das schier Unmögliche gelungen, die lebende Bergsteigerlegende Reinhold Messner dazu zu bringen, sich unser Spiel anzuschauen und es in einer Live-Veranstaltung auf seinen Realitätsgrad zu analysieren. Einfach großartig, dass sich Reinhold Messner auf dieses Experiment eingelassen hat. Und ein Ritterschlag für uns!

Natürlich haben wir die Veranstaltung aufgezeichnet. Wer einen Blick riskieren will, kann das hier tun:

Auf dieser Seite passiert recht wenig – diplomatisch ausgedrückt. Das hat natürlich Gründe. Ein Grund ist es, dass ich meine Freiberuflichkeit zumindest teilweise an den Nagel gehängt habe und nun als festangestellter Autor und Narrative Designer bei ByteRockers‘ Games mit einem leidenschaftlichen Team an einem spannenden Spielprojekt arbeiten darf. Ein toller Grund natürlich.

Ich hoffe, ich kann bald mehr darüber erzählen. Nur so viel schon jetzt: Geplant ist ein 1st-Person-Puzzle-Adventure für Steam und Switch ohne Free-to-play und anderem Schnickschnack.

Kaum Zeit, Website regelmäßig zu aktualisieren. Zu viel zu tun. Story und Drehbücher für Therapie-App für Kinder mit Mukoviszidose. Kinderbuch. Artikel über Games.

Panikstufe?

Passt schon!

Bald mehr. Hoffentlich.

Am 01. Juni ist die neue Carlsen-Textadventure-App erschienen. Die Story zu Hidden Island stammt erneut aus meiner virtuellen Feder, und geschrieben habe ich sie mit einer aktuellen und noch komfortableren Version der mir bereits vertrauten Gamebooktechnologie.

Gleich am ersten Wochenende wurde die App in den iTune-Stores gefeatured, was grandios war, weil die Zahl der Installationen in ungeahnte Höhen schoss. Es kostete mich allerdings auch ein paar Nerven, weil einige Spieler den Preis von zwei Dollar zum Anlass nahmen, ihren Unmut kundzutun, für Spiele bezahlen zu müssen. Freud und Leid liegen wie immer nah beieinander …

Der Carlsen Verlag hat auf der Teenager-Convention TINCON 2017 einen Workshop zum Thema Interaktives Erzählen veranstaltet. Und ich durfte etwas unterstützen. (Böse Zungen behaupten, ich beschränkte mich darauf, hübsch auszusehen und Smartphones zu signieren. Aber das ist natürlich erlogen und erstunken.)

Hier meine zwei Lehren: 1. Wenn du willst, dass viele Jugendliche deinen Kurs besuchen, solltest du nicht nach 14 Uhr beginnen. Vor allem nicht an einem Freitag, der irgendwelche Ferien einläutet. Drängelten sich am Vormittag noch 1.500 junge Menschen durch die Korridore und Hallen der einstigen Maschinenfabrik Kampnagel, war es pünktlich zu unserem Workshop wie ausgestorben. Ein paar Erzählwütige fanden aber dann doch den Weg zu uns, und wir konnten loslegen. Was mich zum nächsten Punkt bringt.

2. Lass sie einfach machen. Das Carlsen-Team hatte von Anfang an den Schwerpunkt auf Praxis gelegt. Und das war gut. Kaum hatten wir den Teilnehmern TWINE gezeigt, was zu meiner Überraschung keiner von ihnen kannte, legten sie auch schon los. Das war für mich schon reichlich faszinierend, gehöre ich doch eher zu denen, die gehemmt sind, wenn sie sich beobachtet fühlen. Nicht die Jugendlichen. Sie schrieben, kommentierten, lachten (über sich selbst), reflektierten und schrieben weiter. Großartig!

Es gibt zu „Mission X – Last Society“ tatsächlich ein kleines „Let’s Play“. Sehr witzig und für mich als Game Writer extrem wertvoll, weil ich praktisch in das Gehirn der Spielerin blicken kann und ungefiltertes Feedback bekomme.

Hier ist Teil 1:

 

Und hier Teil 2:

 

Außerdem: Das nächste Textadventure aus der Reihe Mission X, für das ich ebenfalls die Story geschrieben habe, steht bereits in den Startlöchern.

Bald mehr …

Man mag es kaum glauben: Textadventures – die (un-)vergessenen Ahnen storygetriebener Computerspiele – sind still und heimlich zurückgekehrt. Auf mobilen Geräten. Und komfortabler als zu Zork-Zeiten – ohne Parser, mit dem man die Interaktionen noch per Text-Befehle in das Spiel einhämmern musste. (Obwohl das kürzlich erschienene und mit Lob überschüttete „Stories Untold“ selbst vor einem solchen Parser nicht zurückschreckt.)

Jedenfalls hat auch der Carlsen Verlag eine neue digitale Reihe mit kleinen Textadventures gestartet. Und ich durfte zwei dieser Apps schreiben. Hierfür wurde eine spezielle Software entwickelt, die die Organisation der diversen Handlungsstränge erleichtert – die Gamebooktechnologie.

Meine erste Geschichte ist just erschienen und hört auf den Namen „Last Society“. Für iOS und Android. Und erhältlich in den bekannten Stores. Zum Beispiel hier.

Und das ist der Teaser.

Düster und auch hoffnungsschimmernd ist das Thema der WASD-Jubiläumsausgabe:  Es geht schlicht und ergreifend um die Endlichkeit allen Seins. Und darum, ob und wie und warum Computerspiele diesem Themenbrocken neue Facetten oder gar Erkenntnisse abgewinnen können. Ich durfte wieder einen Text beisteuern und schaue mir an, ob Computerspiele auch Geschichten erzählen (können), in denen der Tod mehr ist als ein mechanisches Element.

Natürlich schöner bebildert und gelayoutet in der Printausgabe.

Gestorben wird immer – (K)eine Auseiandersetzung mit dem Tod in Computerspielen

Ob in Bildern, Romanen oder Filmen – Menschen haben seit jeher ihre Ideen, Ängste und Vorstellungen über den Tod kreativ verarbeitet. In Computerspielen besteht die Kreativität oftmals darin, seine Gegner möglichst grausam sterben zu lassen. Zwischen all den virtuellen Leichenbergen finden sich aber schon ein paar Games, die das Medium geschickt nutzen, um zum Thema Tod etwas Erbauliches beizutragen. Man muss sie nur suchen.

Es ist schon ein bisschen paradox: In wohl keiner Kunstform wird so viel gemordet, gemetzelt und gestorben wie in Computerspielen. Zugleich laden Games nur selten ein zu einer differenzierten Betrachtung oder Diskussion zum Thema Tod und Sterblichkeit. Erklärungen dafür sind schnell gefunden. Eine dürfte sein: Töten und Sterben in Games hat meistens eine spielmechanische Funktion und weniger eine inhaltliche. Es geht ums Gewinnen oder Verlieren, nicht darum, sich Gedanken über die eigene Endlichkeit zu machen.

Auch in den von Games erzählten Geschichten hat der Tod seinen festen Platz. Doch selbst in den narrativen Hochkarätern kommt er häufig nicht über eine Kulissenhaftigkeit hinaus. Wenn sich in „Shadow of the Colossus“ das Pferd Agro für den Spieler opfert oder der Spieler in „The Walking Dead“ entscheiden muss, welchen der liebgewonnenen Charaktere er retten oder seinem Zombieschicksal überlassen soll, schafft das zwar starke emotionale Momente, mehr aber auch nicht. Durchaus angestoßene Reflexionen über den Tod mit seinen diversen Subthemen wie Opferbereitschaft, Verlustangst oder Ohnmachtsgefühl werden nicht weitergedacht. Das Spielziel rückt wieder in den Vordergrund.

Der gezähmte Tod

Was ist aber, wenn es kein klassisches Spielziel gibt? In „Welcome to Boone Hill“ erkundet der Spieler ein riesiges Friedhofsgelände, liest die meiste Zeit Epitaphe und quatscht hier und da mit anderen Friedhofsbesuchern. Spielmechaniken werden auf ein Minimum reduziert, es gibt keine Achievements, kein Ende. Und auch keine Narration, zumindest nicht im üblichen Sinne. Die Grabinschriften bleiben weitgehend zusammenhanglos, die Dialoge sind vor allem eins: kurz. Erkenntnisse über Leben und Tod sucht man in ihnen vergebens. Eine echte Handlung gibt es nicht.

Die Narration in „Welcome to Boone Hill“ funktioniert anders. Über den Schauplatz in seiner Gesamtheit. Der Friedhof ist nicht nur das zentrale Setting, er ist das einzige. Ein Spaziergang dort ist vergleichbar mit einem Spaziergang auf einem realen Friedhof. Man flaniert zwischen den Gräbern, studiert die Grabsteine, sinniert über (fehlende) Todesbetrachtungen in Computerspielen und plötzlich über die eigene Vergänglichkeit. Die erzählerische Leerstelle im Spiel füllt sich mit eigenen Geschichten, in denen der Tod als Thema natürlicher Bestandteil wird, weil er eben so allgegenwärtig ist und nicht spektakulär inszeniert werden muss.

Mit einer ganz ähnlichen Prämisse arbeitet das experimentelle Spiel „The Graveyard“. Der Spieler führt eine alte Dame über einen Friedhof zu einer Parkbank, verweilt mit ihr einen Augenblick und begleitet die Dame, sofern sie nicht das Zeitliche segnet, wieder zurück zum Friedhofseingang. Zwar ersetzt nun ein kurzes, kontemplatives Innehalten den ausschweifend meditativen Spaziergang in Boone Hill. Doch auch hier gibt das Spiel nicht vor, was man denken und fühlen soll. Ob Einsamkeit, Trauer, Geborgenheit. Sogar Freude darüber, endlich loslassen zu können. In wenigen Minuten spult man ein ganzes Repertoire an Emotionen und Betrachtungen ab. Aber es bleibt diffus. Trost spendende oder gar kluge Erklärungen für die Endlichkeit allen Seins bietet das Spiel nicht an. Vielmehr sensibilisiert es für ein Thema, das für die Menschen kaum fassbar ist oder gerne verdrängt wird.

„Welcome to Boone Hill“ und „The Graveyard“ geben dem Spieler den Raum, sich unaufgeregt und individuell mit Leben und Tod auseinanderzusetzen, indem sie den Friedhof ins Zentrum des Spielgeschehens rücken. Was nach einer cleveren und unkonventionellen Designentscheidung klingt, ist aus historischer Sicht überhaupt nicht ungewöhnlich. Schon im abendländischen Mittelalter liegt der Friedhof in zentraler Lage und dient den Menschen als soziale Plattform, um sich zu treffen und auszutauschen. Gestorben wird öffentlich und unter Einhaltung diverser Rituale. Der Tod ist natürlicher Bestandteil des Lebens und alles andere als tabuisiert.

Der Tod der Anderen

Das ändert sich, als Mitte des 14. Jahrhunderts die Pest in Europa wütet und etwa ein Drittel der Bevölkerung ihr Leben verliert. Dass es jeden jederzeit treffen kann, kaum Zeit für die Sterberituale bleibt und die Toten vielerorts nicht einmal mehr bestattet werden, verkehrt das Bild vom Tod als eine Art vertrauter Begleiter ins Gegenteil. Der Tod gilt nun als ausgesprochen unbarmherzig und hässlich, was in neuen Kunstformen wie dem Totentanz Ausdruck findet.

Es ist kein Zufall, dass sich das Todesverständnis in einer Zeit zu wandeln beginnt, die Historiker rückblickend als Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit bezeichnen. Genauso wie Friedhöfe aus Hygienegründen an den Stadtrand verlegt werden, so wird auch der Tod mehr und mehr aus dem Alltag und dem Bewusstsein der Menschen verbannt. Je weiter Technik und Medizin voranschreiten, desto einfacher wird es, den Tod zu marginalisieren. Heutzutage kommen Menschen in Europa nur noch in Ausnahmesituationen mit dem Tod in Berührung. Gestorben wird für gewöhnlich auch nicht mehr zu Hause, sondern in Krankenhäusern, also in ausreichender Distanz zu den Lebenden.

Das viel zitierte „That Dragon, Cancer“ reißt den Spieler aus dieser Komfortzone und lässt ihn dabei zusehen, wie der kleine Joel seinen Kampf gegen den Krebs verliert. Die Handlungsmöglichkeiten bleiben von Anfang an begrenzt, der Spieler ist zur Tatenlosigkeit verdammt. Später sind es sogar die Interaktionen selbst, die das Leid des Kindes vergrößern, etwa wenn der Spieler in die Rolle des Vaters schlüpft und vergebens versucht, den vor Schmerzen weinenden Sohn zu trösten, Joel aber immer lauter und lauter schreit, je mehr der Vater sich kümmert. Abstrakte Konzepte wie Hilf- und Fassungslosigkeit werden für den Spieler so zu sehr konkreten Erlebnissen.

Es ist allerdings nicht das bewusst gebremste Gameplay, das „That Dragon, Cancer“ so unerträglich aufwühlend macht. Nicht allein die Tatsache, dass die Handlung keine Fiktion ist. Es ist die Konsequenz, mit der das Spiel in die Köpfe der Angehörigen fährt und ihre Gedanken, Ängste und Hoffnungen zeigt. Ungefiltert. In all ihrer Emotionalität, aber auch Begrenztheit. Das Spiel ist deshalb auch mehr als ein Denkmal, mehr als eine (religiös motivierte) Selbsttherapie für das Entwicklerteam. Es ist der geglückte Versuch, dem Thema Tod in all seiner Vielschichtigkeit eine höchst menschliche und persönliche Note zu geben, ohne die Möglichkeiten des Mediums außer Acht zu lassen.

Memento Mori

Während „That Dragon, Cancer“ den Spieler mit einer sterbenden Person konfrontiert, setzt „Fragments of Him“ dort an, wo ein geliebter Mensch gegangen ist. Ein Autounfall reißt Will aus dem Leben. Die Großmutter, die Ex-Freundin und der Lebenspartner erinnern sich an den jungen Mann, an Episoden aus seiner Kindheit und Jugend oder an die erste Begegnung im Studentenwohnheim. Ihre Erinnerungen sind selektiv und bruchstückhaft und erzählen manchmal mehr über sie selbst als über den Toten. Nebensächlichkeiten werden ausgeblendet, andere Personen bleiben buchstäblich gesichtslos.

In den Geschichten stecken Trauer, Liebe, aber auch Unverständnis und Sinnsuche. Ihr Zweck ist es nicht, den Toten zu ehren, und auch nur bedingt, die Erinnerung an ihn lebendig zu halten. Über die gesamte Dauer bleibt Wills Biografie seltsam blass, egal wie viele Fragmente der Spieler zusammensetzt. Vielmehr skizzieren sie die Stationen zu einem schmerzvollen Erkenntnisgewinn – dass die Menschen es verlernt haben, ein Leben im Bewusstsein des Todes zu führen. Vor diesem existenzphilosophischen Hintergrund formuliert „Fragments of Him“ eine so klare wie einleuchtende Botschaft: Erst wenn der Hinterbliebene die durch den Tod entstandene Lücke akzeptiert, kann er sie mit neuem Leben füllen. Und dazu hilft es, sich auch mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen.

Der Beweis ist wohl erbracht, Computerspiele können sich durchaus auf differenzierte Weise dem Thema Tod und Sterblichkeit nähern. Nicht nur für das Medium ist das wichtig, auch für die Thematik selbst, die nicht abgeschlossen ist, solange gestorben wird. Einer der Gründe, wieso das bei den hier vorgestellten Spielen gelingt, ist wohl, dass klassische Erwartungen an die Spielmechaniken nicht erfüllt werden.

Gleichwohl wäre es fatal, die Narration getrennt vom Gameplay zu betrachten. Im Gegenteil, die eindringlichsten Augenblicke sind jene, in denen beides kongenial miteinander verwoben wird. Bei „That Dragon, Cancer“ ist es die besagte Trost-Szene, in „Fragments of Him“ muss der Spieler Möbel wegklicken, um mehr über den Gefühlszustand von Wills Partner zu erfahren. Am Ende steht ein leerer Raum sinnbildlich für die Leere, die der Tod hinterlassen hat.

Die Macher von „The Graveyard“, das belgische Künstler- und Entwicklerduo Tale of Tales, heben den Tod in seiner spielmechanischen Bedeutung gar auf eine Metaebene. Das Feature „Sterben“ gibt es nur in der Vollversion, in der kostenlosen Trial-Version bleibt die alte Dame immer am Leben. Mit dieser absichtlich konstruierten ludonarrativen Dissonanz übt das Spiel Kritik an einer Industrie, die die Spieler gerne dafür bezahlen lässt, damit ihre Protagonisten unsterblich bzw. unbesiegbar werden. Zugleich sagt es einiges über das Todesverständnis in Computerspielen aus: dass solche Themenbrocken noch lange keine Selbstverständlichkeit sind. Und dass Games einfach Zeit brauchen, um ihre eigene Sprache zu entwickeln. Ein Anfang ist allerdings gemacht.

Kurze Vorbemerkung:

Der folgende Text von mir ist in der neunten und (noch) aktuellen Ausgabe der WASD erschienen. Dort wurde er nicht nur wunderhübsch illustriert, sondern auch mit einem extrem lehrreichen Schaubild über die „Heldenreise“ ausgestattet. Das und vor allem die rund 30 weiteren Artikel zum Thema „Geschichtenerzählen in Computerspielen“ sind gute Gründe, einen Blick in die Ausgabe zu werfen.

 

Hello, Everyday Hero – Erwachsenwerden in Computerspielen

Storytelling in Computerspielen bedeutet immer noch erstaunlich oft, die Welt vor dem Untergang zu bewahren oder den immerwährenden Kampf zwischen Gut und Böse auszufechten. Aber es gibt auch die kleinen Geschichten, die unprätentiösen und zärtlichen. Mit jungen Heldenfiguren, die nicht allmächtig sind, die Schwächen haben und sich entwickeln dürfen. Heißen wir Max, Sam und Ethan willkommen!

Wir befinden uns im Prolog von „Life is Strange“. Regen und Wind peitschen unserer Heldin Max ins Gesicht. Etwas orientierungslos stolpert sie durch die Natur, bis der Lichtkegel eines nahegelegenen Leuchtturms die Dunkelheit zerreißt. Dorthin steuere ich Max, um Schutz zu suchen vor dem Unwetter. Doch es wird noch ungemütlicher. Ein gigantischer Tornado droht das Küstenstädtchen Arcadia Bay wegzufegen. Okay, mal wieder Apokalypse, schießt es mir durch den Kopf, dann: Abblende. Max erwacht in ihrem Klassenraum.

Alles nur geträumt? Mitnichten, und irgendwie auch doch. Das Ende der Welt steht unmittelbar bevor. Zumindest sollen wir das glauben. Mal mit dem Holzhammer vorgetragen, wenn es tote Vögel regnet oder die Sonne hinter einer schwarzen Mondscheibe verschwindet, mal ironisch gebrochen in Form von Plakaten, die zur extravaganten End-of-the-World-Party einladen. Aber eigentlich, und da verrate ich wohl nicht zu viel, ist die ganze abgedroschene Weltuntergangsthematik der berühmte Rote Hering, die Nebelkerze, die vom tatsächlichen Thema ablenken will.

Alltagshelden mit Superkräften

Einen ersten Vorgeschmack bekommen wir direkt im Anschluss. Max erwacht aus ihrer Tornado-Vision und ist noch ein bisschen neben der Spur. Das nutzt Kommilitonin und Bully-Queen Victoria aus und macht Max vor der ganzen Klasse lächerlich. Gekicher im Hintergrund. Niemand steht uns zur Seite, auch nicht der ach so hippe und eloquente Dozent Mr. Jefferson. Wir erleben diesen kurzen Moment der Hilflosigkeit … der Demütigung. Und es macht zum ersten Mal Klick. Hier geht es nicht (nur) darum, die Welt vor ihrem Untergang zu retten. Etwas Anderes sollen wir meistern: den Alltag eines durchschnittlichen Mädchens in der nordamerikanischen Provinz.

Ganz so durchschnittlich ist Max dann (leider) doch nicht. Sie kann nämlich, wie wir bald herausfinden, die Zeit zurückdrehen. Allerdings, und das versöhnt mich dann wieder mit ihr, ist nicht die Rewind-Superpower ihre eigentliche Stärke, sondern ihr Einfühlungsvermögen. Dieses muss sie in den fünf Episoden immer wieder unter Beweis stellen – in eher harmlosen Situationen am College, wenn wir etwa eine Liebesbeziehung retten können, aber auch in existentiellen Momenten, wo wir es mit Suizid oder Sterbehilfe zu tun bekommen.

Wir spielen also nicht die klassische Superheldin, daraus macht „Life is Strange“ kein großes Geheimnis. Im Gegenteil, Max ist alles andere als unfehlbar, hadert mit sich, mit ihren Entscheidungen. Aber sie lernt auch aus ihren Aktionen. Und sie reflektiert sich selbst. Ihre Schwächen. Sie stellt eigene Interessen zurück, verzichtet darauf, den Everyday Heroes-Fotowettbewerb zu gewinnen und wird selbst zu einer Alltagsheldin. Doch bevor wir Max noch ein Stück bei ihrem Entwicklungsprozess begleiten, machen wir es ihr gleich und spulen die Zeit zurück …

Heimkehren

Wir bleiben in amerikanischen Gefilden, schreiben aber das Jahr 1995. Auch „Gone Home“ beginnt in bewährter Computerspielmanier. Unser Spielercharakter Kaitlin, gerade von einer einjährigen Reise durch Europa zurückgekehrt, findet das elterliche Haus verlassen vor. Wieder gewittert es. Gruselatmosphäre. Ich halte Ausschau nach einer Schrotflinte, um damit Horden von Zombies, Mutanten oder sonstigen Bösewichten plattzumachen. Keine Schrotflinte, nicht einmal eine Axt. Stattdessen finde ich zerknüllte Zettelchen, lese Briefe oder lausche Tagebucheinträgen der Schwester Sam.

Puzzleartig setze ich die Geschichte zusammen und erfahre immer mehr über Kaitlins Familie und die Hintergründe ihres Verschwindens. Es sind die alltäglichen Sachen: Eheprobleme, berufliche Rückschläge. Nichts Krasses. Immer nachvollziehbar. Und es geht um Sam. Darum, dass sie sich in ihre Mitschülerin Lonnie verliebt hat, und Lonnie sich in sie. Um die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und mit Widerständen in der Schule und innerhalb der Familie. Um das Erwachsenwerden.

Ian Bogost hat in seinem Essay „Perpetual Adolescence“ bereits 2013 festgestellt, dass die „Gone Home“ zugrundeliegende Coming-of-Age-Story an und für sich nicht viel Neues bietet. Recht hat er, medienübergreifend betrachtet. In Filmen ist uns das Thema schon origineller begegnet. Und die Literatur hat mit dem Bildungsroman gar eine eigene Gattung über das Erwachsenwerden hervorgebracht. Wir dürfen aber nicht vergessen, wir sind in einem Spiel. Und in Spielen (gerade im AAA-Bereich) stehen Stories, in denen es (ganz unmetaphorisch und unironisch) darum geht, die Welt zu retten oder sonst eine Art der teuflischen Bedrohung zu bekämpfen, immer noch hoch im Kurs. „Gone Home“ hingegen setzt auf eine unspektakuläre, alltägliche Geschichte. Allein das darf als mutig bezeichnet werden. Mutiger jedenfalls als der x-te Aufguss einer „traditionell“ erzählten Heldenreise.

Deconstructing Heldenreise

Stichwort Heldenreise: An ihr führt kein Weg vorbei, wenn man sich mit Narration in Computerspielen auseinandersetzt. „Gone Home“ ist auch so eine Heldenreise, schlägt aber einen etwas anderen Weg ein, zumindest auf den zweiten Blick. Auf den ersten fühle ich mich an ein Lehrstück über Erzählstrukturen für angehende Autoren erinnert. Aber der Reihe nach. Die Heldenreise nach Christopher Vogler besteht aus zwölf Stationen. Als Kaitlin durchlaufe ich einige davon: An der verschlossenen Haustür finde ich einen Brief und erhalte so den „Ruf zum Abenteuer“. Die verschlossene Tür wiederum trennt die gewohnte von der neuen Welt. Sie ist der „Schwellenhüter“, den es zu überwinden gilt.

So weit, so traditionell. Auch die „tiefste Höhle“, wo es die letzte große Prüfung zu bestehen gilt, ist kein Ausbund an Originalität. Es ist der (im Horrorgenre gerne zitierte) Dachboden, und der zweite Schwellenhüter die verschlossene Luke. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich längst, dass ich auch dort keine Zombies niedermetzeln werde. Und noch etwas ist mir klargeworden. Nicht Kaitlin ist die eigentliche Heldin, es ist ihre Schwester Sam. Wir rekonstruieren Sams Geschichte, erfahren, wie sie allen emotionalen und gesellschaftlichen Widerständen trotzt. Aber wir können ihr Handeln nicht aktiv beeinflussen.

„Gone Home“ gelingt damit ein kleines narratives Kunststück: Es verbindet eine äußere und eine innere Heldenreise, ohne dass es zu starken Brüchen kommt. Die „Äußere“ führt uns als Kaitlin durch die konkrete Welt im Haus und konfrontiert uns mit einer greifbaren und nachvollziehbaren Herausforderung: dem Verschwinden der Familie. So etwas ist typisch für Games, weil in mechanischer Sicht gut umsetzbar. Die „Innere“ hingegen findet ausschließlich im Kopf von Sam statt. Ihre Reise – die Suche nach sich selbst – bleibt für den Spieler in vielerlei Hinsicht abstrakt. In Romanen oder auch Filmen ist das gut darstellbar, in Games ist es eine echte Herausforderung.

Darüber hinaus spielt „Gone Home“ geschickt mit Erwartungshaltungen. Motive aus dem Horror- und Mysterygenre ziehen sich wie ein roter Faden durch das Spiel. Es bleibt allerdings bei Andeutungen und Zitaten. So ist das Blut in der Badewanne gar kein echtes Blut, sondern – wie wir einige Augenblicke später herausfinden – schnödes Haarfärbemittel.

 Das Spiel mit der Metaebene

Dass sich Computerspiele gerne aus der Popkultur bedienen oder mal selbstreferentiell sind, ist jetzt nichts Ungewöhnliches. So auch „Life is Strange“. Hier wird viel zitiert, referenziert und intertextualisiert. Mehr noch als in „Gone Home“. Das macht Spaß, solange die Geschichte ihren Fokus auf Max‘ Entwicklung hat. Als sich die Ereignisse aber zuspitzen und Arcadia Bay immer mehr zu Twin Peaks wird, frage ich mich schon, ob die Autoren plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen haben. Ist ein Themenkomplex aus Mobbing, Coming-of-Age etc. nicht stark genug, um über eine Spiellänge an den Bildschirm zu fesseln?

Ohne Zweifel, die Entwickler von „Life is Strange“ beherrschen ihr Medium und kennen die unterschiedlichen Spielertypen. Und sie wissen auch, dass Games für viele immer noch ein Hilfsmittel sind, um für eine Weile der Realität zu entschwinden. Dafür eignen sich nun einmal eine spektakuläre Handlung und ein exotisches Setting besser als ein banales Abbild der Wirklichkeit.

Wird die an sich schon emotionale Kerngeschichte also deshalb mit Weltuntergangs- und Genrepomp aufgemotzt, um es vielen Spielern Recht zu machen? Möglicherweise! Möglicherweise will „Life is Strange“ die Tendenz zur Übertreibung und Machtfantasie in Computerspielen aber auch (ironisch) hinterfragen.

„Okay, I see you’re a geek now with a great imagination, but this isn’t an anime or videogame“, erwidert Chloe, als Max ihr zum ersten Mal davon erzählt, dass sie die Zeit zurückdrehen kann und Arcadia Bay die Zerstörung droht. Später glaubt Chloe ihr und findet es natürlich cool. Nicht so Max. Die Fähigkeit ist mehr Fluch als Segen, weil alles immer schlimmer wird, je öfter sie davon Gebrauch macht. Sie wünscht sich, dass sie sie nie erworben hätte.

Eskapismus als Story

Um Realitätsflucht geht es auch in „The Vanishing of Ethan Carter“. Als Detektiv Paul Prospero suche ich nach Ethan in einem verlassenen Landstrich, der nicht nur entfernt an Neuengland erinnert. Auch sonst scheint die Handlung ein Potpourri aus H.P. Lovecraft- und Stephen King-Zitaten zu sein. Da gibt es das düstere Geisterstädtchen, einen geheimnisvollen Dämonenkult und Ethans Verwandtschaft, die in etwa so freundlich ist wie die Sippe aus „The Texas Chainsaw Massacre“. Eine Story, als hätte sie sich ein Zwölfjähriger ausgedacht.

Hinter all den Horrorklischees verbirgt sich allerdings eine ganz andere Geschichte, eine traurige und zugleich zärtliche. Auch in ihr decke ich ein Geheimnis auf. Eins, das weniger mit Dämonen oder Menschenopfern zu tun hat, sondern eher mit dem Wunsch nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Wenn ich in dunklen Gängen vor Untoten wegrenne, fliehe ich eigentlich vor einer Realität, die von Einsamkeit und Unterdrückung geprägt ist. Ethans Realität. Ich bin gleichermaßen sein Fluchthelfer und sein Wärter. Dazu muss ich aus einer Welt herausfinden, in die ich normalerweise abtauche.

So unterschiedlich unsere drei Spiele hinsichtlich ihrer Umsetzung sind, so haben sie doch auch einige entscheidende Gemeinsamkeiten: Ihre Geschichten, zumindest in ihrem Kern, sind allesamt im Alltag verortet. Die Helden erleben etwas, was wir auch außerhalb von Computerspielwelten erleben. Sie machen Fehler, zweifeln an sich selbst und scheitern sogar. Sie sind nicht allmächtig, stehen am Rand der Gesellschaft … sind sterblich. Ihre Heldentaten, sofern es überhaupt welche sind, werden kaum wahrgenommen. Sie sind leise, und leise treten sie auch ab. Goodbye, Everyday Hero! Ich hoffe, wir sehen uns noch oft wieder.

Der beste Grund, sich nur alle paar Monate mit neuen Einträgen zu melden, ist viel Arbeit.

Und tatsächlich kann ich mich über einen Mangel an solcher nicht beklagen. Ich arbeite gerade an zwei wunderbaren Projekten mit ebenso wunderbaren Leuten: Einmal an einer Therapie-App für Kinder mit Mukoviszidose. Hier findet der interessierte Leser mehr darüber.

Und an einem Textadventure (sic) für einen großen deutschen Verlag. Darf darüber noch nichts verraten, nur das: Fuck yeah, Textadventure. Der Traum eines jeden Game Writer – Textwüsten are coming …

Über beide Projekte werde ich ein bisschen ausführlicher erzählen, wenn der Release naht.